Ricardo Tanturi – ›El caballero del tango‹›  (1905 - 1973)

‍    Ricardos Eltern lebten im Barracas-Viertel, einem der ärmsten Gegenden beim faulig riechenden Riachuelo. Er hatte das Glück, in eine italienische Familie hineingeboren zu werden, wo Musik eine grosse Rolle spielte – das ersparte ihm, im Gegensatz zu manchem Tango-Kollegen, Konflikte mit den Eltern. Als der junge Ricardo Geige lernte, war sein älterer Bruder Antonio bereits Mitleiter des Orquesta tipica Tanturi-Petrone. Sein Bruder Antonio überzeugte ihn, von der Geige zum Klavier zu wechseln.

‍    Als Ricardo 19 war, spielte er als Pianist in Clubs, auf Wohltätigkeitsveranstaltungen und, zusammen mit seinem Bruder, gelegentlich beim Radio Nacional. Offensichtlich hatte er genug Zeit, um ein Studium als Zahnarzt zu beginnen. In dieser Zeit war er mehr am Jazz als am Tango interessiert. Irgendwie hatte ihn, nach Studiumabschluss, das Tangofieber dann doch gepackt, denn 1933 gründete er sein erstes Sextett mit dem Namen Los Indios. Das war nicht etwa eine Referenz an die indianischen Ureinwohner, sondern bezog sich auf sein favorisiertes Poloteam. Mit seinem Sextett trat Tanturi in Kinos, in Theatern und in grossen Hotels auf. Der Eröffnungs-Tango bei all seinen Auftritten wurde Francisco Canaros Los Indios, das dieser 1916 aufgenommen hatte. Seltsamerweise brachte es Tanturi selbst nie auf Platte.

Mit seinem Sextett wurde er so bekannt, dass er 1937 einen Plattenvertrag bei Odeon bekam. Dort wurde er jedoch nicht glücklich, denn Odeon hatte zu jener Zeit die üble Angewohnheit, Erfolg versprechende Orchester unter Vertrag zu nehmen, nur damit sie nicht beim Konkurrenten Victor unterschrieben. Das Gleiche widerfuhr später Anibal Troilo. Tanturi durfte nur eine Schallplatte mit zwei Aufnahmen pro Jahr einspielen: 1937 Tierrita, auf der anderen Seite das wunderbare A la luz del candil (ausführliche Besprechung → hier). 1938 folgte Gallo ciego, mit einem Marsch auf der anderen Seite, der für uns Tangotänzer nicht von Interesse ist. 

Nach seiner letzten Aufnahme bei Odeon im Juni 1938 musste Tanturi mehr als zwei Jahre warten, bis er bei RCA Victor die nächste Schallplatte einspielen konnte.


Der Wechsel zu RCA Victor

Gehen wir in die frühe Periode von Tanturi und hören das Instrumentalstück Argañaraz 1940. Wenn man dieses Stück hört, könnte man es leicht für eines von d'Arienzo halten: Ein pointierter, abgehackter Beat und kurze, akzentuierte Klavierphrasen – ein Stil mit Ähnlichkeiten zu dem von d‘Arienzo bis 1940. Titel im ähnlichen Stil sind Una noche de garufa und Comparsa criolla (=comme il faut), das letztere wurde auch von d‘Arienzo 1936 eingespielt. Interessanterweise ist die Version von JdA langsamer als die von Tanturi, aber sonst in vielen Punkten sehr ähnlich. Die Tanturi-Version kommt für mich mit mehr Druck daher.

Mit seiner Titeln, in denen er den Tango selbst zum Thema machte, sprach Tanturi die Milongueros direkt an. El Tango es danza triste, pero es canción de rango. – Der Tango ist ein trauriger Tanz, aber er ist ein Lied von Rang (aus Pa‘ que se callen (cancion de rango).

Dazu gehören Al compás de un (del) tango; El tango es el tango; Tango (Voz de Tango); Cuatro compases; Bailongo de los Domingos; und das bekannteste und erfolgreichste Así se baila el tango (‘So tanzt man Tango‘. Hier eine interessante alternative Version  mit Castillo von 1946 mit dem Orchester unter der Leitung von Enrique Alessio)

Weitere Titel mit diesem Thema mit Enrique Campos: Muchachos comienza la ronda, En el salon, und einige andere. Auch Una emocion gehört dazu. Wir werden diese Komposition später genauer analysieren.

Im Gegensatz zu anderen Orchesterleitern wie di Sarli und de Angelis führte Tanturi nicht vom Klavier aus, sondern leitete das Orchester mit dem Dirigentstab. Tanturi komponierte auch, von ihm stammen u.a. Pocas palabras, La vida es corta (beide 1941) und Sollozo de bandoneon (1943). Merkwürdigerweise nahm er seine eigene Komposition Que importa  nicht auf Platte auf, das machten Juan d'Arienzo und Francisco Canaro.

Lavocah schreibt in seinem Buch Tango Stories, dass in den 40er Jahren die Tangos anspruchsvoller und verfeinerter wurden. Die Melodie und die Sänger traten mehr in den Vordergrund, die Tangos wurden langsamer gespielt. Das kann man auch bei Tanturi beobachten – seine Tangos wurden deutlich melodiöser. Ab etwa 1942 ist Tanturi immer gut von d'Arienzo zu unterscheiden.


Die Periode mit Alberto Castillo

In den Jahren 1941-1943 wurde Tanturi sehr populär, unter anderem auch wegen seines Sängers mit der prägnanten Stimme: Alberto Castillo.

Alberto Castillo war ein charismatischer Sänger mit ›maskuliner Eleganz‹, ein Showman auf der Bühne. Wenn es eine Stimme gab, die man sofort wiedererkennen konnte, dann war es die von Alberto Castillo. Niemand rollte das R so wie er. Seine Stimme war voluminös und intonationsreich, wenn auch etwas knarrig-nasal. Dazu kam eine ausgeprägte Interpretation sowie eine oft ironisch-provokante Art der Mimik und Gestik, die auf der Bühne gut zog.

Als der Erfolg mit Tanturis Orchester kam, versuchte Castillo ein Doppelleben aufrecht zu erhalten: tagsüber war er der Gynäkologe Alberto de Luca (so die richtige Schreibweise), in der Nacht war er der grosse Sänger Alberto Castillo. Mit der Zeit war nicht mehr zu verheimlichen, dass das die gleiche Person war, und bald füllte sich sein Wartezimmer mit Damen jeden Alters, die unbedingt von ihrem Idol untersucht werden wollten – zum Teil mit weitergehenden Erwartungen. »Sind Sie bereit, Madame«, fragte de Luca-Castillo eine Dame, die sich hinter der Umkleideschirm auszog. Und diese antwortete ohne jede Verlegenheit: »Ich bin‘s – und Sie?« (aus der Biographie bei Todotango)

Die Folge war, dass de Luca-Castillo bald die Praxis aufgab und sich ganz dem Tango widmete – was die Schar seiner weiblichen Anhänger aber nicht verringerte... 


Exkurs Alberto Castillo – ›el Cantor de los cien Barrios‹

Alberto Castillo war eine charismatische Person. Anstatt sich als das zu präsentieren, was er war – ein Facharzt mit Universitätsabschluss – wählte er die Rolle eines Mannes, der sich mit dem Proletariat identifizierte. In den 1940er Jahren wurde die Stellung der Arbeiter und der Randschichten in der Gesellschaft aufgewertet, sie schämten sich immer weniger ihrer Herkunft und entwickelten so etwas wie ein Klassenbewusstsein, das im Gegensatz zur Oligarchie stand.

Castillo machte sich zu ihrem Idol. Er kleidete sich entgegen dem Kodex der ‘besseren Gesellschaft’. Er trug blaue, zweireihige Anzüge aus glänzenden Stoffen mit besonders breitem, beinahe bis zu den Schultern reichenden Revers, er trug den Sakko aufgeknöpft und liess ein Taschentuch übertrieben sichtbar aus seiner Brusttasche heraushängen. Diese Art sich zu kleiden war eine Herausforderung in Opposition zu den Normen des sogenannten guten Geschmacks der Bourgeoisie.

Diese Opposition zur Bourgeoisie zeigte sich auch in den Texten, er machte sich über sie lustig. Er hatte einen neckischen, spöttischen Ton und eine übertriebene Gestik, er überspitzte seine Gesten bis hin zum Extrem. Gemäss Salas liess er manche Gebärden zu Frechheiten werden, um bestimmten Themen mehr Nachdruck zu verleihen. Seine Tangos, wie am Beispiel von Asi se baile el tango, waren eine Gelegenheit über die Bourgeoisie zu spotten – was er ohne Zögern tat.

Was wissen schon die feinen Pinkel, die Schnösel und die Geleckten!

Was wissen die, was Tango ist, 

was wissen die vom Takt!
Hier ist die Eleganz, welche Erscheinung, was für eine Silhouette

was für eine Haltung, was für ein Schneid,
Welch eine Klasse des Tanzens! (aus Asi se baila el tango)

So wundert es nicht, dass Cortázar, ein Anhänger einer starr antiperonistischen Ideologie, über ihn lästerte: »Die reine Lust am schlechten Geschmack und das Lumpentum voller Ressentiments erklären den Triumph von Alberto Castillo.« Diese Zeilen veranschaulichen die Geisteshaltung jener Klasse zu jener Zeit.

Später, als Solist mit eigenem Orchester, steckte bei seinen Auftritten weiterhin das auffällige Taschentuch wie eine Auszeichnung in der Brusttasche, der oberste Hemdknopf war offen, die Krawatte nur lose gebunden, um die Rolle des ‘erfolgreichen Proleten‘ zu unterstreichen.

Tanturi und Castillo machten zusammen 37 Aufnahmen, bevor Castillo im Mai 1943 Tanturi verliess. Was der genaue Anlass war, konnte ich nicht herausfinden, vielleicht wollte er einfach nur eigene Wege gehen, vielleicht war es, wie so oft, eine Geldstreitigkeit. Tanturi prophezeite ihm, dass er scheitern und bald am Hungertuch nagen würde. Das war nicht der Fall – Castillo, der charismatische Showman, nahm sich ein eigenes Orchester und war (im Gegensatz zu manch anderem Alleingang) weiterhin erfolgreich. Als Orchesterleiter wählte er den Bandoneonisten Enrique Alessio, der das Orchester von Pugliese verlassen hatte.

Seine Anhänger folgten ihm als wäre er ein Fussballstar. Es wird berichtet, dass 1944 eine grosse Menschenmenge die Corrientes vor dem Theater Alvear, in dem er auftrat, blockierte. Er nahm den Candombe in sein Repertoire auf, sein erster grosser Candombe-Erfolg war Charol 1944. Die grössten Erfolge in dieser Kategorie waren Baile de los morenos (1947) mit einem stark gebrochenen Rhythmus, und → Siga el baile (1953), das gegen Schluss immer schneller wird. Für seine Bühnenshow heuerte er schwarze Tänzer an – es war ein Riesenerfolg. Bei diesen Auftritten feierte das Publikum seine wiegenden Beckenbewegungen, die bei der puritanischen Mittelklasse, ähnlich wie bei Elvis, Proteste  und Irritationen hervorriefen.

Dank seiner starken Bühnenpräsenz war er auch als Filmschauspieler erfolgreich. Auch als Filmschauspieler wählte er eine Aussprache, die man den Randschichten zuordnete. Seinen ersten Auftritt hat er 1946 im Film Adios pampa mia. Im Film von 1948 → El Tango vuelve a Paris (Der Tango kehrt nach Paris zurück) spielt er zusammen mit Aníbal Troilo. Bei Min. 56 haben sie einen Auftritt im Folklore-Kostüm, in der Folge eine kurze Tanzszene; wir hören einen weiteren Tango bei 1:02. Bis 1958 werden insgesamt 11 Filme mit Castillo aufgezählt.


Tanturi mit Enrique Campos

Als Castillo das Orchester von Ricardo Tanturi Mitte 1943 verliess, um seine eigene Karriere zu verfolgen, handelte Tanturi: er vergrösserte sein Orchester mit 2 Bandoneons und 2 Violinen. 

Tanturi brauchte unbedingt einen neuen Sänger, und zwar schnell. Bei den Anhörungen versuchten die meisten, irgendwie den Stil von Castillo nachzuahmen. Nur einer hatte die charakterliche Stärke, nicht wie Castillo zu singen oder ihn nachzumahmen. Es war ein dreissigjähriger Mann aus Uruguay namens Enrique Troncone. Tanturi hatte den Mut, diesen Sänger zu wählen, der unterschiedlicher nicht sein konnte...

Sie brauchte einen Künstlernamen für ihn – sie schlugen willkürlich ein Telefonbuch auf und wählten daraus den Namen Enrique Campos

Tanturi hatte ein gutes Gespür – wie Castillo hatte Campos eine starke Persönlichkeit, die aber sehr verschieden war von der Castillos. Tanturi passte das Spiel seines Orchesters dem neuen Sänger an. Es stellte sich heraus, dass dieser noch besser zum Orchester passte als Castillo. 

Campos war der Sänger, der sich nicht wie Castillo mit speziellen Effekten in den Mittelpunkt stellte, sondern ihm war wichtig, die Lyrik gut rüberzubringen. Das Orchester focussierte mehr auf die Melodie, ohne dass der Rhythmus vernachlässigt wurde.  

Tanturi war mit Campos weiterhin auf Erfolgskurs, sie spielten 51 Aufnahmen ein. Viele Tänzer sind der Meinung, dass Tanturi-Campos noch besser zu tanzen sei. 1946 zog sich Campos auf der Höhe seines Ruhmes ins Familienleben zurück. Auf ihn folgten Roberto Videla und Osvaldo Ribó, aber beide hatte nicht das Charisma und die Klasse von Campos. Um es kurz zu machen: nach dem Weggang von Campos hat es für die Tänzer kaum noch etwas Interessantes

Hier zur Illustration eines der erfreulicheren Stücke mit Videla (zu finden auf der CD Cantor de Barrio) San José de Flores 1947.


In Julio Nudlers Tanturi-Kurzbiographie bei Todotango las ich verwundert folgende Zeilen: ».. his mediocre orchestra ..« (su limitada orquesta im Original) – in den nächsten Zeilen die widersprüchliche Aussage ».. with the success of tango dancing, Tanturi recordings are perhaps the favorite.« Ein mittelmässiges oder zweitklassiges Orchester mit begrenzten Fähigkeiten also, das höchstens von Tango-Tänzern geschätzt wird? (mediocre kann auch mit zweitklassig übersetzt werden). Einen Kommentar zu dieser Aussage unterlasse ich. Jeder kann sich selber ein Urteil bilden. 



Una emoción

Schauen wir uns die Komposition → Una emoción (1943 mit Enrique Campos) näher an. Die Lyrik hat auch hier, wie in manch anderen von Tanturis Liedern, den Tango selbst zum Thema. 

Vengan a ver que traigo yo / en esta unión de notas y palabras. / Es la canción que me inspiró / la evocación que anoche me acunaba. – 

‍  Kommt und seht, was ich bringe in dieser Verbindung von Wort und Melodie. Es ist der Gesang, der in mir die Erinnerung hervorruft, 

‍  die letzte Nacht in den Schlaf mich wiegte.

Ich möchte singen von diesem Klang, der mit jedem Mal süsser und verführerischer wird. .. 

Es ist ein Gesang mit sentimentaler Stimme, sein Rhythmus ist der compás (Takt) meiner Stadt. Er hat keinen Anspruch, noch will er frech sein. 

Er nennt sich Tango … und nicht mehr.        Deutsche Übersetzung mit Hilfe zweier englischen Übersetzungen (die bessere → hier)  


Die musikalische Umsetzung

Um die rhythmischen Spielereien in diesem Stück am einfachsten zu erkennen, schlage ich vor, dass Du versuchst, den Grundschlag wie ein Metronom zu klopfen, was gar nicht so leicht ist. Auch hier hat es viele Dehnungen und Kürzungen, die diesen Tango lebendig und dynamisch machen. In einem zweiten Durchgang klopfe den Takt so, wie Du ihn spürst. Die ersten Synkopen hören wir bereits bei 0.05 und 0.08. 

Wenn wir uns den ganzen Tango anhören, können wir so etwas wie eine Wellenbewegung wahrnehmen: zwischen den musikalischen Phrasen geschieht ein Innehalten, die Welle baut sich kurz auf, um dann weiter zu fliessen (z.B. bei 0.44 & 0.53). Das Gleiche während des Gesangs, deutlicher z.B. bei 1.24 und 1.39. Wenn die Tänzer das umsetzen, halten sie an diesen Stellen mit kurzen Schritten oder Verzierungen inne, um danach wieder auszuschreiten. Auch im Gesang werden, unterstützt durch das Klavier, die rhythmischen Spielereien (Synkopen) wiederholt, deutlich bei 1.49 zu hören.

Irgendwann werde ich mal diesen Tango in einem ‘Radiobeitrag‘ (siehe Tango-Radio) mit akustischen Beispielen besprechen, so dass man die verschiedenen Spielereien direkt anhören kann.  Um einen ungefähren Eindruck zu gewinnen, was ich hier ausdrücken will, kann man → dieses Video (ab 1.11) schauen. Die von mir angesprochenen Passagen des Innehaltens werden von Helaine deutlich gemacht.


Zu seinen schönsten Tages gehören für mich unter anderen (nach Jahr geordnet) A la luz del candil; La vida es corta (‘41); Cancion de rango (‘42); Madame Ivonne (‘42); → Oigo tu voz (‘43, auch Lucio Demare, aber Tanturis Version gefällt mir besser); → La abandoné y no sabia (‘44, auch Miguel Caló und Osvaldo Pugliese im gleichen Jahr). Natürlich gibt es noch weitere schöne Tangos von Tanturi.

Ein weiterer schöner Tango zum Vergleichen ist Que nunca me falte (Möge mir nie (deine zärtliche Liebkosung) fehlen), von Tanturi und Pedro Laurenz im gleichen Jahr aufgenommen. Laurenz hatte im Juli 1943 von RCA Victor zu Odeon gewechselt, spielte zu dem Zeitpunkt also bereits bei der Konkurrenz. Hier die Version von → Laurenz mit Alberto Podestá, und hier die von → Tanturi mit Campos (beide 1943). Ich mag sowohl Laurenz als auch den Sänger Podestá, aber im direkten Vergleich gefällt mit die Tanturi-Version mit Campos etwas besser. Achtet zum Beispiel auf das kurze Bandoneon-Solo ab ca. 0.39 – die Art der Ausführung gefällt mir überraschenderweise bei Tanturi besser (eigentlich ist Laurenz der grosse Bandoneon-Spezialist). Eine andere Stelle ist im Gesangsteil (bei Tanturi bei 1.39 ‘Que nunca me falte‘; bei Laurenz bei etwa 1.58). Die Ausführungen beider Sänger ist auf hohem Niveau, aber Campos schafft mehr Spannung in der Art, wie er dehnt und mit seiner Stimme Rhythmus setzt. Die Tanturi-Version hat für mich mehr Tonus, die Laurenz-Version kommt gemächlicher daher. 


Zusammenfassung

In der Frühzeit finden wir einen rhythmusbetonten Stil, der stark an Juan d‘Arienzo erinnert. Der Wechsel vom harten zum melodiebetonteren Stil fand etwa im Dezember 1941 statt mit Recuerdo malevo.

Tanturis Orchester war ein reines Tango-Orchester, neben Vals, Milonga und Tango finden wir bei ihm (ausser dem Marsch von 1938) keine ›otros ritmos‹. Da Tanturi gute Sänger hatte, war nur ein sehr kleiner Teil seiner Aufnahmen instrumental, wobei die meisten davon in den Jahren bis 1942 aufgenommen worden sind. Nach 1942 finden wir kaum noch instrumentale Titel bei ihm.  

Die Musik hat eine klare rhythmische Basis, wir hören keine herausstechenden Feuerwerkeffekte. Die grundlegende Struktur seiner Tangos entspricht dem damalig üblichen Aufbau: Der erste Teil und der Chorus wird vom Orchester alleine gespielt, dann wird es mit Gesang wiederholt, dann die instrumentale Wiederholung, oft mit einem kleinen Solo, der Schlussteil meistens mit Gesang bis zum Ende. Wir können einen Wechsel von rhythmischen und melodischen Phrasen hören.

Tanturis grossen Erfolge waren verbunden mit den Sängern Alberto Castilllo und Enrique Campos. Tanturis Orchester war bis 1943 leicht an Castillos prägnanter Stimme zu erkennen. Ein weiteres Erkennungsmerkmal: Statt des üblichen Chan-Chan finden wir bei ihm oft (nicht immer) ein verzögertes Ende: Schlussnote - Pause - ein leises Pling.


Zu den Tanturi-CDs muss man anmerken, dass viele der CDs mit viel zu viel Hall und anderen »Verschlimmbesserungen« verhunzt wurden. Löbliche Ausnahmen sind die CDs von Harlequin und Euro Records. In letzter Zeit sind akustisch erfreuliche Überspielungen von TangoTunes dazu gekommen, aber die haben das Problem, dass sie auf gespielte Schellacks mit unterschiedlichem Abnutzungsgrad zurückgreifen müssen. Die Anschaffung lohnt sich auf jeden Fall, wenn man diesen mit übertriebenem Hall verzuckerten Klangbrei nicht mehr hören möchte.

Zum Schluss noch eine Warnung für die Sammler: das bereits erwähnte Magenta-Label, das den traurigen Rekord hält in Sachen irreführender Informationen, hat eine Doppel-CD herausgebracht unter dem Titel »Ricardo Tanturi / Enrique Campos« (Vol.1 & 2). Jedoch sind auf keinem der 28 Titel Tanturi und Campos miteinander zu hören! 24 Aufnahmen von Campos sind von 1969 mit Begleitung von Miguel Nijensohn y su Cuarteto a puro Tango. Um den Titel der CD zu rechtfertigen, hat man noch vier späte Tanturi-Aufnahmen von 1966 (2 pro CD) dazu gepackt. (Dank an Johan V. für diese Informationen!)  Wie soll man das nennen? Irreführung ist einer der zurückhaltenderen Ausdrücke.

Alberto Castillo vor grossem Publikum
Der Sänger Enrique Campos
Ricardo Tanturi, ca. 1939



Bailemos Tango ! 


         © Tango-DJ Michael KI                                        letzte Ergänzung 07/2022




Quellen (Auswahl): siehe Einführung zu den Beiträgen

zusätzlich: – https://www.el-recodo.com/ricardotanturi-en?lang=en 

                 – https://www.todotango.com/english/artists/biography/49/Ricardo-Tanturi/

                 – https://www.todotango.com/english/history/chronicle/133/Alberto-Castillo-the-singer-of-the-milongueros-Tango-is-a-high-quality-dance/

                 – https://www.todotango.com/english/artists/biography/143/Alberto-Castillo/


                 Discographie: https://www.el-recodo.com/music?O=Ricardo%20TANTURI&lang=en