Otros Ritmos

Zeitungsausschnitt vom 2.9.1944. Auftritt von Ricardo Tanturi und einem Jazz-Orchester

Wir tanzen vorwiegend zu Tango, Milonga und Vals. In der Epoca de Oro gab es jedoch keine reinen Tango-Abende, sondern die Orchester spielten einen Satz Tango-Milonga-Vals, nach einer Pause folgte eine Runde mit ›otros ritmos‹, meistens mit einem anderen Orchester. Im Falle eines ›Orquesta caracteristica‹, wie das von Rodriguez oder Lomuto, konnte es auch das gleiche sein. Zu den ›otros ritmos‹ gehörten Foxtrot, Rumba, Corrido, Polca, Pasodoble und andere Tanz-Rhythmen. 


Hier eine kurze, unvollständige und nicht abschliessende Übersicht über die ›otros ritmos‹.


‍    Vals - Ranchera   Der Ursprung des Tango-Vals war der Wiener Walzer, wie wir hier einen hören können → Amor y primavera (Canaro 1935). Die Tango-Orchester lockerten den eher gleichförmig gestrickten Wiener Walzer rhythmisch etwas auf, dadurch bekam der Vals einen luftigeren Charakter.
Der nahe Verwandte des Vals ist die Ranchera, die etwas unregelmässiger und ‘hoppsiger‘ daherkommt. Hier zwei Beispiele:

‍    → Tengo flor y no lo niego (Donato 1936) 

‍    → De contramano (Canaro 1936) 


‍      Milonga - Candombe 

Die nahe Verwandte der Milonga ist die Candombe bzw. korrekter die Milonga candombe. Wir hören in der argentinischen Candombe, auf der die Milonga-Schritte getanzt werden, die afrikanischen rhythmischen Einflüsse der schwarzen Bevölkerung, deren Einfluss infolge von Krieg, Seuchen und dem steten Zustrom von europäischen Einwanderern immer weiter zurückgedrängt wurde. In Uruguay ist Candombe die Bezeichnung für mit Trommeln gespielten Rhythmen und den dazugehörigen Tanz mit einer komplexen Choreographie (gemäss englischer Wiki).

Hier ein paar Beispiele von Candombes, die mit rhythmischen Spielereien gewürzt sind.

‍    Der Meister der Milonga condombe ist für mich Miguel Caló. Eine seiner besten ist → Azabache (Caló 1942). Hier ein weiteres Beispiel → La negra quiere bailar  (Caló 1947).

‍    Ein weiterer Hit war → Carnavalito (Demare 1943). Vergleicht man es mit Pobre negra von Caló aus dem gleichen Jahr, das ähnliche Elemente wie Carnavalito hat, so stellt sich hier die Frage, wer wen inspiriert hat…

Alberto Castillo hatte eine besondere Vorliebe für die Candombe und brachte – nach seinem Weggang von Tanturi – den Tanz mit Trommeln und schwarzen Tänzern auf die Bühne.  → Charol 1944


Maxixe (Maxixa, Machiche, Matchiche, lt. Wikipedia auf portugiesisch Maschischi ausgesprochen) 

Ich kannte lange Zeit diese Bezeichnung nicht, bis ich auf ein höchst interessantes Stück von Roberto Firpo gestossen bin → Buscando millonaria ('Suche Millionärin’, Firpo 1934). Wenn es an einem Abend gute Tänzer hat, die gerne Milonga tanzen, baue ich dieses herausfordernde Stück gelegentlich in eine Tanda ein. 

Es ist ein brasilianischer Tanz, der auch als ‘Brasilianischer Tango‘ bezeichnet wird. Er soll zwischen 1870 und 1880 in Rio de Janeiro aus Vorläufern des Tango argentino und der kubanischen Habanera entstanden sein, beeinflusst von der Polka und dem afrobrasilianischen Lundu. Er wird in einem schnellen 2/4-Takt getanzt. Der Maxixe beeinflusste den Samba und wurde von diesem verdrängt. (nach Wikipedia deutsch & englisch).
s.a. https://socialdance.stanford.edu/syllabi/maxixe.htm   


Marcha  (Marsch) 

Ein Marsch ist ein militärischer Begriff. Diese Bezeichnung wurde für die dazugehörige Musik übernommen, die den in Reih und Glied marschierenden Soldaten den Gleichschritt erleichtern und sie antreiben sollte. Albert Einstein sagte im Hinblick auf das Militär: »Wenn jemand Freude daran hat, bei Musik in Reih und Glied zu marschieren, dann verachte ich ihn schon deswegen, weil er sein Gehirn nur wegen eines Irrtums bekommen hat; ein Rückenmark hätte gereicht.«  Entsprechend simpel mit einem einfachen Takt kommt diese Musikrichtung daher.

Bei Canaro, der alles Mögliche aufnahm, finden wir viele Märsche, ebenso bei Lomuto, wie z.B. La canción del camino (1938 mit J. Omar). Es gibt auch Mischformen wie Marcha-Corrido, Marcha-Pasodoble und andere. Hier als Beispiel Patria hermana, ein ‘Marcha heroica‘ (Canaro 1939, mit E. Famá & F. Amor)





Pasodoble (Paso doble) 

Ein Tanz aus Spanien, der seinen Ursprung in einem schnellen Militärmarsch hat. Er wurde doppelt so schnell geschritten als üblich, deshalb der Name Doppelter Schritt. Als Beispiele das mit Witz gespielte → Maria von Enrique Rodriguez 1940 und Niña de Madrid (Fresedo 1936 mit Gitarren und Schlagzeug). 




Polca (Polka) 

Ein weiterer Tanz aus Europa wurde mitunter ins Repertoire von manchen Tango-Orchestern aufgenommen. Ähnlich wie der Marsch ist es ein gerader Takt und rhythmisch einfach gestrickt.

→ Me casé con un sargento (Caló 1941 mit Alberto Podesta)

→ El vagabundo (Rodriguez 1960 mit Armanda Moreno; Tuba und Kastagnetten bilden die Rhythmussektion)


Corrido  

Der von manchen Orchestern gespielte Corrido kam vermutlich über Mexico nach Argentinien. Die Corridos von Enrique Rodriguez haben den Weg auf CD gefunden, aber auch andere Orchester wie Lomuto und Canaro hatten den Corrido im Repertoire, auch als Corrido-Polca-Mischform. Hier als witziges Beispiel → Atención y disparar (Rodriguez 1940 mit Armando Moreno) 


Foxtrot (Fox-Trot, Foxtrott)  

Diese Musik und dieser Tanz hatten in den 30er Jahren einen grossen Einfluss, der grösste Teil der herausgegebenen Platten waren Foxtrots (gemäss engl. Wikipedia). Als der Lindy Hop aufkam und in der Swing-Ära sehr populär wurde, konnte sich der Foxtrot behaupten, denn er konnte auch zu dieser Musik getanzt werden. Auch in Argentinien hatte fast jedes Orchester Foxtrots im Repertoire. 

Hier ein paar Beispiele verschiedener Orchester:

→ Luces del puerto (Caló 1938, mit Gitarre und Schlagzeug) Der Sänger ist Miguels Bruder Roberto. Es ist eine Interpretation des amerikanischen Titels Harbour lights. Wer Calós Version mit den amerikanischen vergleichen will, findet auf YouTube genügend Beispiele.

→ Alma de Dios (Arreglo en Fox, Rodriguez 1946 mit Ricardo Herrera) Während viele Orchester dem ausländischen Stil folgten, zeigt dieses Stück, wie Rodriguez seinen ganz eigenen, originellen Stil bei den Foxtrots entwickelt hat. 


Machen wir einen Blick über den argentinischen Tellerrand und vergleichen das bekannte Stück You‘re driving me crazy, wie es in verschiedenen Ländern interpretiert wurde. Die Komposition erschien erstmals 1930 auf Platte und wurde ein grosser Hit – über 100 Künstler nahmen das Stück auf. 

Hier die Interpretation von → Nick Lucas 1930 mit einer der ersten Schallplattenaufnahmen.

→ Me vuelves loco  Adolfo Carabelli 1931.

→ Me estás enloqueciendo  Fresedo 1932 (leider nur in schlechter Qualität und vermutlich zu schnell überspielt). Die Art, wie Carabellis Jazzband und Osvaldo Fresedo die Komposition interpretieren, unterscheidet sich kaum von der Art, wie es in jener Zeit von manch europäischem oder nordamerikanischem Orchester gespielt wurde.

→ You‘re driving me crazy  Kurt Hohenberger 1937. Die Interpretation von Hohenberger und seinem Solisten-Orchester kommt als ruhiger Jazz daher. Hohenberger hatte sich dem sogenannten ‘verhaltenen‘ Stil verschrieben, der gleichzeitig swinging, jazzy und gut tanzbar war und seine Platten zu Rennern machte. Achte auf das swingende Violinen- und Klaviersolo.

Im Stile des Jazz manouche oder Gypsy-Swing kommt die Aufnahme von → Django Reinhardt daher, die er 1937 zusammen mit dem Violinisten Stéphane Grapelli und den Musikern des Hot Club de France in Paris einspielte.

Die Wenigsten kennen vermutlich die Aufnahmen der Propaganda-Band »Charlie and his Orchestra« unter der Leitung von Lutz Templin. Auf Goebbels' Befehl wurde eine Propaganda-Swingband gegründet, die beliebte Swing-Titel neu aufnahm und sie mit propagandistischen Texten versah. Man hatte erfahrene Arrangeure für die Band, die die Musik auf Basis von Standardarrangements aktueller US-Swingmelodien schrieben. Während die erste Strophe häufig bestehen blieb, trat ab der zweiten Strophe politische Satire und Verunglimpfung der Juden und Alliierten. Die Propagandasendungen liefen über einem der stärksten Kurzwellensender Europas, konnten aber in Deutschland nicht gehört werden. Alle Platten von Charlie and his Orchestra sind Raritäten und unter Sammlern äusserst begehrt, nicht nur, weil sie äusserst selten sind, sondern auch, weil die Band ausgezeichneten Swing spielte. Achte nicht auf den recht bizarren Propagandatext, sondern vor allem auf die feine Swing-Musik, z.B. das swingende Klavierspiel.





Bei mir bist du schön (schoen / sheen / sheyn) 

wurde von Shalom Secunda komponiert und von Jacob Jacob getextet – ursprünglich für das jiddische Musical 'Man könnte leben, aber sie lassen uns nicht', das in Brooklyn 1933 aufgeführt wurde. Cahn und Saul Chaplin erwarben die Rechte am Original und schrieben das Lied grundlegend um. Sie veränderten den Rhythmus der Musik und übertrugen den Text sehr frei ins Englische. In der schnelleren Version machten die Andrew Sisters das Lied im November 1937 bekannt – kurz danach folgte Benny Goodman im Dezember 1937 mit zwei Versionen. In der Folge wurde der Hit von sehr vielen Bands weltweit aufgenommen. 

In Europa finden sich viele Interpretationen, die erste Aufnahme in Europa machte Al Bowlly am 4. Januar 1938 in London. Eine der bekanntesten ist vermutlich die herrlich swingende Aufnahme von → Zarah Leander (am 21.4.1938 in Stockholm bei Odeon aufgenommen, mit schwedisch-deutschem Text – zu einer Zeit, als sie schon fleissig Filme für Goebbels und die UfA drehte...) Dieser Titel war in Nazi-Deutschland selbstverständlich verboten, aber diese Platten, die zum Teil in Deutschland (!) gepresst wurden, konnte man über Re-Import auch in Deutschland selbst kaufen, so z.B. im Musik- und Plattenladen Alberti, der erst im November 1943 nach Bombentreffern und Brand schliessen musste. Der Titel war jedenfalls auch hier bekannt und beliebt, und es ist belegt, dass einige Swingbands diesen Titel trotz des Verbotes live spielten. 

Para mi eres divina  Enrique Rodriguez nahm es bereits im Mai 1938 (mit Roberto ‘Chato‘ Flores) auf, bei ihm wurde die Angebetete zur 'divina mujer'. Im gleichen Jahr wurde die Komposition auch vom OT Victor als Instrumentaltitel aufgenommen.



Mich verwundert, dass es nur bei diesen zwei Schallplattenaufnahmen in Argentinien blieb. Selbst Francisco Canaro, der sonst alles aufnahm, was in anderen Ländern zum Hit wurde (wie z.B. Triste Domingo, in den englischsprachigen Ländern bekannt als Gloomy Sunday), hat es nicht eingespielt. Warum dieser Titel in Argentinien nicht die grosse Verbreitung wie in anderen Ländern fand, bleibt im Dunkel der Geschichte verborgen.



Snake charmer

Bei meinen Recherchen bin ich auf einen weiteren interessanten Titel gestossen, der auch in Argentinien eingespielt wurde: Snake Charmer, eine Komposition von Teddy Powell von 1937, wurde in Argentinien zum Encantador de serpientes und von Rodriguez 1939 (mit Roberto ‘Chato‘ Flores) zu Platte gebracht.




Hier zum Vergleich eine originelle Version von → Jerry Blaine & his Streamline Rhythm von 1937.

In Deutschland lief es - leicht verändert - unter dem Titel Wenn ich ein Schlangenbeschwörer wär und wurde von verschiedenen Ensembles eingespielt. Hier die Version von → Theo Reuter (1939, mit Hugo Hartung). Auf der Schallplatten-Etikette steht ‘Orientalischer Foxtrott‘, für die veränderte Version wurde Heinz Weiss zum Komponisten erklärt.  


In Argentinien war der Foxtrot, wie bereits angeführt, ebenfalls sehr beliebt und ist deshalb gut geeignet für musikalische Vergleiche.


Bailemos Tango ! 


‍         © Tango-DJ Michael KI                                  letzte Ergänzung 08/2021



‍         Quellen (Auswahl): siehe Einführung zu den Beiträgen

‍    – Zeitungsausschnitte: Dank an Michael Krugman†


Diese Seite wird mit weiteren Beispielen ergänzt. Also immer wieder mal reinschauen!

Zeitungsausschnitt vom 2.9.1944. Das Tango-Orchester von Troilo und Caló mit den Begleitorchestern, die für die 'otros ritmos' zuständig waren.
Zeitungsausschnitt vom 10.10.1944. Das Tango-Orchester von Juan d'Arienzo und einem Orchester für die otros ritmos