Domingo Federico (1916 -2000)
– ein zu Unrecht wenig beachtetes Orchester

‍  Jeder Tangoliebhaber kennt die Kompositionen von Domingo Federico wie Al compás del corazon, Tristezas de la calle Corrientes, Yo soy el Tango und Percal. Jedoch ist das Orchester von Federico nicht allzu bekannt und wird an Milongas recht selten gespielt.

Eine ausführliche Biografie über ihn zu schreiben ist nicht einfach – die Unterlagen sind recht dürftig. Ausser einer Zusammenfassung bei Todotango scheint es nicht viel zu geben. Fotos von ihm und seinem Orchester sind nur spärlich vorhanden.


Domingo lernte das Geigenspielen und das Notenlesen von seinem Vater Francisco. Als sein Vater sich ein Bandoneon kaufte und es zu spielen lernte, schaute der junge Domingo aufmerksam zu. Es ging nicht lange, und Domingo wechselte von der Geige zum Bandoneon. Als er die Schule besucht, übte er weiterhin gewissenhaft Bandoneon. Er entschied sich für ein Medizinstudium, wollte nebenbei seine Bandoneonfähigkeiten verbessern, deshalb entschloss er sich, während des Studiums das Konservatorium von Pedro Maffia und Sebastian Piana zu besuchen.

Sein Enthusiasmus für den Tango führte dazu, dass er das Medizinstudium aufgab und sich ganz der Musik widmete. Seine Schwester Nélida erzählt, dass er an manchen Tagen 14-15 Stunden übte. Er trat am Radio auf, machte Touren durch das Land und spielte in den Lokalen der Stadt. Er war Teil des Orchesters von Juan Canaro und für kurze Zeit auch von Carlos di Sarli. 1941 wurde er von Miguel Caló entdeckt und in dessen ›Orquesta de las Estrellas‹ aufgenommen. Jedoch war er laut anderer Quellen bereits 1939 bei Caló – dies ist die wahrscheinlichere Version.

Der erste grosse von Federico komponierte Hit war Al compás del corazón. Der Tango wurde an einem Nachmittag aufgeführt, zu einer Zeit, wenn Caló normalerweise noch nicht zugegen war. Zu jener Zeit waren Raul Berón und Alberto Podestá die Sänger in Calós Orchester. Aber da sie den Text nicht gut genug kannten, sprang der Geiger Enrique Francini, der das Stück besonders mochte, als Sänger ein und improvisierte den Tango. Das Stück kam beim Publikum gut an, und als Caló erschien, verlangten die Leute, den Tango nochmal zu hören. Caló nahm den Tango sofort in sein Repertoire auf. 

Die weitere Geschichte ist bekannt: Al compás del corazón wurde zum ersten ganz grossen Erfolg und ebnete Miguel Caló mit seinem Sänger Berón den weiteren Weg. Alberto Podestá, der von Caló entdeckt worden war und der das Stück bei der ersten Aufführung auch gehört hatte, wurde von di Sarli abgeworben. Als Podestá zu di Sarli wechselte, hatte er diesen potentiellen Hit in seinem Gepäck, und so kam es, dass di Sarli kurz vor Caló diesen Titel auf Schallplatte aufnahm. Trotz der zur jener Zeit grösseren Bekanntheit von di Sarli wurde die Version von Caló zum grösseren Erfolg.

‍ Federico steuerte mit seinen Kompositionen Percal, Yo soy el Tango und Tristezas de la calle Corrientes viel zum Erfolg von Calós ›Orquesta de las Estrellas‹ bei. (Besprechung von Tristezas de la Calle Corrientes → hier).


Im Juni 1943 verliess Federico das Orchester von Caló und stellte sein eigenes Orchester zusammen, das schnell erste Erfolge beim Publikum feierte. Jedoch dauerte es bis April 1944, bis er seine erste Schallplatte bei Odeon aufnehmen konnte. Zum Vergleich: Biagi hatte, als er d‘Arienzo verliess, deutlich schneller einen Schallplattenvertrag erhalten. Die beiden ersten Aufnahmen → Saludos und → La culpa la tuve yo zeigen bereits den eigenen Stil von Federico.

Sein erster Sänger, den wir auf Schallplatte hören, war Ignacio Diaz. Als dieser krank wurde, musste schnell Ersatz gefunden werden. Federico fand ihn im erst achtzehnjährigen Carlos Vidal. Vidals Spitzname war El coloradito (Rotschopf), und es stellte sich heraus, dass der ›Coloradito‹ eine äusserst gelungene Wahl war. Seine einprägsame Stimme trug einiges zum Erfolg von Domingo Federicos Orchester bei. Seltsamerweise gibt es auch über Vidal recht wenige Informationen. Die erste Aufnahme mit ihm war → Y así nació este tango, und auf der anderen Seite → Yuyo verde. Beide Titel sind schön, aber Yuyo verde  wurde beim Publikum noch beliebter. Weitere schöne Titel mit seinem Orchester sind meiner Meinung Tu melodia (1944), Senda florida, El huérfano und Yo (alle 1945), En carne propia (1946, auch von Troilo aufgenommen).

Etwas verwunderlich ist, dass Federico seine erste grosse Erfolgskomposition Al compás del corazón erst 1947 in einer eigenen Version mit Vidal einspielte. Sein anderer grosser Erfolg, → Tristezas de la Calle Corrientes, folgte erst Ende 1952 in einem interessanten Arrangement.

Oscar Larroca (der später bei de Angelis singt) taucht 1945 als zweiter Sänger auf. Sein schönster Titel meiner Meinung ist → Maria

Gesangduos gab es im Tango immer wieder mal (vor allem Valses, aber auch Tangos und Milongas), aber ab 1944 gab es bei de Angelis vermehrt Aufnahmen mit zwei Sängern. Der Mode jener Zeit folgend finden sich ab 1945 auch bei Federico einige Duos mit Vidal und Larroca. Vidals Stimme ist bereits einprägsam, aber Larrocas geht bereits in Richtung knarrig, und beide zusammen sind für mich des Markanten zuviel.

Carlos Vidal verliess 1949 Federicos Orchester, seine letzte Schallplatteaufnahme hatte den bezeichnenden Titel Recuérdame – erinnere dich an mich.  (Vidal verstarb jung mit 54 Jahren.) Nach Vidal folgten verschiedene andere Sänger, wie zum Beispiel Armando Moreno (vorher bei Enrique Rodriguez), aber zu jener Zeit hatte das Orchester von Domingo Federico seinen Höhepunkt bereits überschritten und wird für uns als Tänzer weniger interessant.

Das Orchester von Domingo Federico war ein reines Tango-Orchester, ausser Tango, Vals und Milonga hat er keine ›otros ritmos‹ aufgenommen. In den ersten sechs Jahren hat er nur wenige Valses und Milongas eingespielt, das meiste sind Tangos. Im Orchester von Federico spielte sein Vater Don Francisco den Bass. Zusammen mit ihm komponierte er einige Tangos wie zum Beispiel Saludos und Con el mayor gusto

Etwas Besonderes sind seine Milongas. Die bekannteste ist El adiós de Gabino Ezeiza (G.E. war der berühmteste Payador der Frühzeit). Hörenswert sind auch El mayoral (1946) und die Milonga (Milongon) → Barrio viejo del 80 (1950) mit einem wiegenden und nicht leicht zu tanzenden Rhythmus.

Die meisten auf CD erhältlichen Überspielungen von Domingo Federico (wie auch die meisten der verlinkten YouTube-Beispiele) leiden darunter, dass sie mit Hall und anderen Techniken verschlimmbessert wurden. Besonders abraten möchte ich von der CD von El Bandoneon #135 ›DF y su OT con sus Cantores Vidal y Larroca 1945-48‹. Die Klangqualität ist übel. Bessere Aufnahmen gibt es bei Eurorecords und auf dem Sampler Great Bands of Tango‘s Golden Age 1936-47 des Labels Harlequin. Erfreulicherweise gibt es dank TangoTunes mittlerweile gute Überspielungen ohne Hall.

Wie soll man Federicos Stil beschreiben? Worte sind das eine, Musik ist was anderes, und Worte können die Musik nicht wirklich beschreiben. Das Arrangement ist der Melodie untergeordnet. Der Stil ist irgendwie zwischen Caló und näher bei Maderna. Wegen dieser Ähnlichkeiten spiele ich an einer Milonga entweder eine Tanda mit Federico oder Maderna, aber selten beide am gleichen Abend.

Vergleichen wir die Komposition von Federico → Saludos, die er am 10.4.1944 aufnahm mit der von → Miguel Caló vier Monate später (23.8.1944). Caló kommt schneller und prägnanter, mit mehr ‘Feuerwerk‘, daher, Federico ist weicher, träumerischer, vielleicht könnte man es auch ‘gefühlvoller‘ nennen. Beide Versionen haben ihren eigenen musikalischen Einfälle und Charakter und sind schön. 


Es gibt keine spezielle musikalische Effekte, an denen man das Orchester von Federico festmachen könnte wie zum Beispiel der Einsatz besonderer Instrumente. Kennzeichnend für seinen Orchesterklang ist die ihm eigene, spezielle Kombination von Melodie und Rhythmus. Das vorwiegend in tiefen Lagen durchgehend gespielte Klavier erzeugt zusammen mit dem Bass einen pulsierenden Rhythmus, gut zu hören z.B. im Instrumentaltitel → Con el mayor gusto. Ein Genuss ist Federicos Bandoneonspiel, es ist feinfühlig und ausdrucksstark und erinnert mich an das einer anderen Grösse, Anibal Troilo.

Domingos Schwester Nelida erzählte in einem Interview, dass Troilo die Arbeit ihres Bruders Domingo immer bewundert hatte. Es gibt ein paar Stücke, die von beiden Orchestern aufgenommen wurden: das bereits erwähnt Maria; Canción desesperada (beide 1945); En carne propia 1946; Tristezas de la calle Corrientes (T 1942, F 1952); Yuyo verde (F 1944, T 1945).  

Für einen Vergleich böte sich das von Federico komponierte Yuyo verde an. Dieses Stück war so beliebt, dass es von mehreren Orchestern (Pugliese, Troilo, Tania und Biagi (alle 1945), aber auch als moderner Tango (2002 von Lidia Borda) in recht unterschiedlichen Versionen eingespielt wurde. 

Stattdessen wollen wir Federicos Version von → En carne propia mit der von Troilo vergleichen. Troilo nahm es im Juni 1946 mit Alberto Marino auf, Federico folgte einen Monat später mit Carlos Vidal.  

En carne propia heisst soviel wie An eigenem Leib (erfahren), der Text von Carlos Bahr ist ein bitterböser Jammertext einer verletzten Liebe, die aus tiefem Schmerz und Groll Vergeltung will. Der Dichter lässt offen, ob Mann oder Frau die andere Person verflucht, und so gibt es auch eine Aufnahme mit der Sängerin → Maria de la Fuente, die den Text ohne Änderung singt.











Hören wir zuerst in die musikalische Umsetzung von Federico. Zu Beginn die Streicher in düsteren Molltönen, während die Bandoneons ein monoton-müdes Staccato spielen. Nach einer kurzen Melodiephase bei 0.28 ein kurzes Bandoneonsolo, die folgenden Passagen sind in dramatischen Harmonien gehalten, bevor Carlos Vidal bei 1.12 halblaut einsetzt. In seiner Stimme hören wir die Traurigkeit und das innige Wehklagen des Verlassenen. Vidal singt die Melodie, während das Orchester sich dezent im Hintergrund hält und die Hauptmelodie umspielt. Bei 1.33 verlangsamt sich der Vortrag. Nach einer kurzen Pause bei 1.53 kommt das En carne propia wie ein Schmerzensschrei. Bei 2.03 wiederholt sich der gelängte Aufschrei: Será inútil – es wird vergeblich sein…  Während des Gesangs hält sich das Orchester zurück, spielt dezent im Hintergrund, um dem Sänger mehr Gewicht zu geben. Ab 2.25 folgt die Orchesterpassage, jedoch weiterhin in verminderter Lautstärke – die tiefen Bandoneontöne werden von gezupften Violinen begleitet, bevor sie lauter werden und von gestrichenen Violinen in ihrer Klage unterstützt werden. Bei 2.46 setzt Vidal wieder mit seiner Wehklage ein De rodillas llorarás en la agonía, bei 2.54 der laute Aufschrei Porque algún día, con la misma ruin moneda… mit dem Wunsch nach Vergeltung. Am Schluss die abschliessenden Noten, das Chan-chan des Orchesters.

Nachdem Du dieses Stück gehört und vermutlich die Aufmerksamkeit vor allem auf die gesangliche Umsetzung gelegt hast, schlage ich Dir vor, es nochmal anzuhören, und dabei darauf zu achten, wie die Instrumente im Hintergrund die Geschichte ergänzen und auf welche Art sie die traurige Erzählung unterstützen.

Hören wir → die Version von Troilo mit Alberto Marino. Auch wenn ich Troilo ausserordentlich schätze, ist (ohne in die Details zu gehen) die Version von Federico für mich klar die gelungenere. Troilos Interpretation kommt ‘beschwingter‘ daher, Vidal und Federico treffen in ihrer Interpretation den bitter-traurigen Charakter des Textes besser.

Übrigens: der Erste, der En carne propia aufnahm, war Francisco Fiorentino mit seinem von Astor Piazzolla geleiteten Orchester. Alle drei Interpretationen sind auf hohem Niveau und haben ihre eigenen musikalischen Einfälle, aber Troilos und Federicos Versionen ziehe ich der von Fiorentino vor.


Aus der späteren Schaffensperiode möchte ich euch noch folgende äusserst hörenswerte Kompositionen empfehlen: → El maraja 1951; Leyenda gaucha und Flores artificiales (beide 1952). Alle drei Interpretationen sind ‘aussergewöhnlich‘, weil schräge Harmonien und einige musikalische Einfälle ausserhalb des Gewöhnlichen liegen. Mit diesen Interpretationen wollte Federico auf seine Art die musikalischen Grenzen des Tango erweitern.

Federicos erste Aufnahmeperiode dauerte laut der mir zur Verfügung stehenden Discographie bis 1956. Nach einer längeren Aufnahmepause nahm er ab 1960 bei verschiedenen anderen Schallplattenfirmen auf. 

1961 versammelte Miguel Caló noch einmal die wichtigsten Musiker seines ›Orquesta de las Estrellas‹ von 1941, neben Domingo Federico spielten Armando Pontier und Enrique Francini; für den bei einem Flugzeugabsturz verunglückten Osmar Maderna sass Orlando Tripodi am Klavier. Sie spielten bei Radio El Mundo und erhielten einen so grossen Zuspruch, dass in der Folge das Orchester bei Odeon 1963 eine LP mit zwölf Titeln aufnahm. 

Federicos letzten Aufnahmen stammen von 1969, als er sich noch einmal mit dem Sänger Carlos Vidal zusammentat und die alten Erfolge wie Al compas del corazón, Percal, Saludos und Yuyo verde neu einspielte. Domingo Federico wurde alt und starb erst im Jahr 2000.






Bailemos Tango ! 


‍      Tango-DJ Michael KI                                    © November 2020, letzte Ergänzung 08/2023








Quellen (Auswahl): siehe Einführung zu den Beiträgen

zusätzlich:  – https://www.todotango.com/english/artists/biography/732/Domingo-Federico/

‍                 – https://es.wikipedia.org/wiki/Domingo_Federico

‍                 – www.tangotunes.com/blog/about-domingo-federico-carlos-vidal-et-al/#comment-102 

‍                 – Discographie: https://www.el-recodo.com/music?O=Domingo%20FEDERICO&lang=en

En carne propia
sentirás la angustia sorda
de saber que aquél que amaste más,
es quien te hiere...
Será inútil
que supliques por la gracia del perdón.

Será en vano

que pretendas esquivarte del dolor.
Porque algún día,

con la misma ruin moneda,
con que pagan lo

An eigenem Leib

wirst du die dumpfe Beklemmung spüren,

im Wissen, dass die Person, die du am meisten liebst,

die ist, die dich verletzt.

Zwecklos,

um die Gnade der Vergebung zu bitten.

Vergeblich, dem Schmerz entfliehen zu wollen.

Weil eines Tages,

mit der gleichen schäbigen Münze

mit der die bezahlen, die schlecht bezahlen,

dich bezahlen werden.